Der griechische Staat

Oggi vi propongo un articolo della Frankfurter Sonntagszeitung del 2007. Già allora l'autore Michael Martens affermava la necessità di urgenti riforme.

Der griechische Staat

Vicky Leandros trägt, soweit sich das zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen schon sagen lässt, keine Schuld an den Waldbränden in Griechenland. Im Gegenteil, sie hat der Öffentlichkeit sogar wertvolle Hinweise zur Aufklärung der Katastrophe übermittelt. Von einer Hamburger Wochenzeitung als renommierte Expertin für Waldbrandbekämpfung um ihre Meinung gebeten, hatte die Schlagersängerin dieser Tage zweierlei mitzuteilen: Erstens sei daheim in Piräus alles ruhig. Zweitens seien die einfachen Bürger völlig allein gelassen worden, und Ministerpräsident Karamanlis habe gelogen. Mit dieser Einschätzung gab Frau Leandros ziemlich treffsicher die unter ihren Landsleuten vorherrschende Meinung wieder. In der abgelaufenen Woche wurde die griechische Regierung bei Demonstrationen in Athen und anderen Städten von einer keineswegs schweigenden Mehrheit beschuldigt, sie habe durch schlechtes Krisenmanagement das halbe Land in Flammen aufgehen lassen. Auch an anderen Schuldigen mangelte es nicht. Wo nicht "die Politiker" verantwortlich gemacht wurden, da waren es "die Konzerne", "die Türken", zur Not auch Al Qaida. Dass zudem Oppositionschef Papandreou von der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) dem Ministerpräsidenten Unfähigkeit vorwarf, fällt da kaum noch ins Gewicht.

Es ist den griechischen Wählern nach den entsetzlichen Ereignissen der vergangenen Woche nicht zu verübeln, dass ihnen nach Protest zumute war. Nur hat sich der Volkszorn die falschen Adressaten ausgesucht. Eigentlich hätten die Griechen nämlich gegen sich selbst demonstrieren müssen - gegen ihr Staatsverständnis, ihre Versorgungsmentalität, ihre Selbstüberschätzung. Denn nicht Herr Karamanlis hat Griechenland verbrannt, und auch unter der Pasok wären die griechischen Wälder in Flammen aufgegangen. Zutreffend ist allerdings, dass die Regierung Karamanlis wie schon ihre sozialistischen Vorgängerkabinette aus Feigheit vor dem Wähler einige grundsätzliche Schwierigkeiten nicht angepackt hat.

Dazu hätte ein Vorgehen gegen illegal errichtete Häuser gehört, deren Bau am Rande von Wäldern - oder in eigens dafür niedergebrannten ehemaligen Waldgebieten - die Feuergefahr noch erhöht hat. Da es aber mehrere hunderttausend solcher Häuser gibt, ist bisher jede Regierung in Athen vor einem Eingreifen zurückgeschreckt. Denn der Staat soll nach griechischem Verständnis zwar alle Schwierigkeiten lösen - aber unsichtbar, kostenfrei und schmerzlos.

Griechenland ist einer der am schlechtesten funktionierenden Staaten der EU. Gesundheitssystem, Eisenbahnen, Universitäten, Rentenversicherung - alles müsste dringend reformiert werden. Eine gängige Erklärung für die Misere lautet, dass Griechenland durch die Jahrhunderte währende Herrschaft der Türken von den für Europa prägenden Entwicklungen ausgeschlossen wurde. Renaissance, Aufklärung und industrielle Revolution sind an Griechenland vorbeigegangen. Das mag als Herleitung angehen, nur ist es auf Dauer nicht hilfreich, die Osmanen für den Zustand von griechischen Krankenhäusern des Jahres 2007 verantwortlich zu machen. Aufschlussreicher ist ein vergleichender Blick in die jüngere Vergangenheit. Als Irland 1973 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, war es ein für europäische Verhältnisse bettelarmer Staat. Ähnlich wie Griechenland bei seinem Beitritt 1981. Doch während die Iren heute in der EU das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf erwirtschaften, liegen die Griechen trotz eines beträchtlichen Anstiegs ihres Lebensstandards unter den Altmitgliedern immer noch auf dem vorletzten Platz kurz vor dem anderen Bummelanten Portugal.

Warum also gab es ein "irisches Wunder" in der EU, aber kein griechisches? Der griechische Gelegenheitsdissident Nikos Dimou, der sich durch sein Buch "Vom Unglück, Grieche zu sein" die haltbare Abneigung seiner Landsleute erworben hat, führt als Erklärung unter anderem den mit erstaunlichen Minderwertigkeitsgefühlen gefütterten Überlegenheitskomplex seiner Landsleute an. Zu den das Selbstbild der Griechen prägenden Mythen zählt er "den Mythos der Kontinuität", der ihnen von westlichen Philhellenen des 19. Jahrhunderts eingeredet wurde. Wenn in der Zeit nach der osmanischen Herrschaft einer der westlichen Reimporte nach Griechenland schädlich gewesen sei, so sicher nicht die Demokratie oder der Rationalismus, sondern der den Griechen vermittelte Glaube, sie seien direkte Nachfahren der antiken Hellenen und damit ein auserwähltes Volk. So auserwählt, dass für Bürgersinn oder gemeinschaftsverträgliche Eigeninitiative keine Zeit mehr bleibt. Weshalb Griechenland auch kaum freiwillige Feuerwehren hat, die in der vergangenen Woche so notwendig gewesen wären. Denn wenn es brennt, soll der Staat löschen. Überall und kostenlos.
Michael Martens
Fonte: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 02.09.2007, Nr. 35 / Seite 14

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